Das Qi macht den Unterschied! – Teil 2

Qigong ohne Qi, ist Bewegungsgymnastik

In diesem zweiten Teil des Artikels zur „Wahrnehmung des Qi im Qigong“ möchte ich noch mal betonen, dass primär das Qi den Unterschied in der Wirksamkeit gegenüber reinen Bewegungsübungen macht. Die alten Meister weisen explizit darauf hin, dass Qi Gong und Taiji, ohne Qi substanzlos und weniger effektiv sind.

Ich habe mir zu Anfang meiner Qigong- und Taiji Praxis oft die Frage gestellt, ob solche Aussagen nicht eher dazu dienen den eigenen Stand, die eigene Tradition und das eigene System als etwas Besonderes hervorzuheben und sich werbewirksamer zu präsentieren. Im Laufe der Zeit habe ich jedoch eindrücklich erfahren, dass dem nicht so ist. Mit dem Gewahr werden des Qi, der subtilen Lebensenergie, eröffnete sich für mich eine ganz neue Dimension des Qigong und ich konnte erleben, was die Meister damit meinten. Die Bewegungsformen, die mir als ehemaliger Leistungssportler, schon immer leicht zugänglich waren, wurden plötzlich beseelt shen und durchdrungen von Energie qi. Die so oft beschriebene Verbundenheit mit allem, war kein Konzept mehr, sondern erfahrbar. Sich mit der Erde zu verbinden oder die archetypische Kraft eines Tieres aufzunehmen ist dann selbstverständlich und wird zur Normalität. Aus dieser Erfahrung heraus war es mir wichtig, die Essenz nicht an spezifische Qigong- oder Taiji Formen zu knüpfen, sondern sich immer am Qi auszurichten. Dies ist auch in meinen Seminaren und Ausbildungen mein primärer Fokus.

Im Zuge dieses Prozesses wurde mir aber auch klar, dass man nichts machen kann ohne Qi. Jede Bewegung wirkt sich auf das Qi aus, ganz gleich, ob ich es wahrnehme oder nicht. Dabei ist es erstmal egal, um was für eine Bewegung es sich handelt. In jeder Bewegung geschieht etwas mit dem Qi und deshalb kann man keiner Bewegungsform absprechen mit Qi zu arbeiten. Der Unterschied liegt im Grad der Bewusstheit. Das Gewahrsein der Lebensenergie ermöglicht ein bewusstes Lenken und Leiten der Energie und kann insbesondere im medizinischen und alchemistischen Qigong die Wirksamkeit erhöhen.

 

Qi-Phänomene: Wie sich Lebensenergie bemerkbar macht

Qi, die Lebensenergie, manifestiert sich auf vielfältige Weise: als Kribbeln, Wärme, Schwere, Licht, Fließen, Leichtigkeit, Weite, Kälte, Muskelzuckungen oder sogar als das Empfinden magnetischer Felder. Diese Phänomene werden von vielen Praktizierenden beschrieben und bieten wertvolle Orientierungspunkte für die eigene Wahrnehmung. Sie helfen dabei, persönliche Empfindungen einzuordnen und Worte für Gefühle, Bilder und energetische Reaktionen zu finden.

Doch die energetische Ebene lässt sich nicht allein durch den Verstand oder das Wollen erschließen. Vielmehr bedarf es einer absichtslosen Achtsamkeit und Intuition. In unserer modernen Welt, die von Rationalität und Kontrolle geprägt ist, fällt es schwer, auf Intuition und Gefühle zu vertrauen. Ich beobachte in den Kursen uns Ausbildungen, dass man eher geneigt ist, die beschriebenen Wahrnehmungen anderer zu imitieren, anstatt den eigenen Empfindungen zu vertrauen. Dabei ist die Qi-Wahrnehmung hoch individuell. Jede Erfahrung ist wertvoll, selbst wenn sie von den typischen Beschreibungen abweicht. Der Schlüssel liegt darin, die eigene Intuition zu kultivieren und Empfindungen als einzigartigen Ausdruck der Lebensenergie anzunehmen.

Qi-Wahrnehmung und Bewusstsein

Die Erfahrungen chinesischer Meister zeigen, dass mit zunehmender Übung die Schulung des Bewusstseins immer entscheidender wird. Die Ausweitung des Bewusstseins eröffnet gleichzeitig die Wahrnehmung energetischer Ebenen, also des Qi. Ein praktisches Beispiel für diese Wechselwirkung von Bewusstsein und Energie bietet die folgende Übung:

Die Übung des Reiterstands:

  1. Stelle dich in die Reiterstandposition.
  2. Halte deine Handinnenflächen in einem Abstand von etwa 20 cm zueinander. Die Schultern hängen entspannt, die Unterarme sind leicht angewinkelt, die Hände geöffnet.
  3. Richte dein Bewusstsein auf die Hände und den Raum zwischen ihnen.
  4. Variiere den Abstand zwischen den Händen leicht, ohne dass sie sich berühren.
  5. Verweile 3-5 Minuten in dieser Position und nimm bewusst wahr, was geschieht.

Diese Übung zeigt, wie das Bewusstsein Qi erfährt und gleichzeitig, wie man das Qi lenken kann. Anfangs mag es schwierig sein, die feinstoffliche Lebensenergie zu spüren, doch mit Geduld stellt sich ein immer differenzierteres Empfinden ein. Das Qi Gong bietet so die Möglichkeit, auf Energie- und Bewusstseinsebenen zuzugreifen, die im Alltag aufgrund von fehlender Präsenz und hoher Anspannung oft unbemerkt bleiben.

Das Bewusstsein: Schlüssel zur Qi-Wahrnehmung

Unser Bewusstsein besitzt die bemerkenswerte Fähigkeit, sich an jedem Ort der äußeren und inneren Welt zu befinden – sogar auch gleichzeitig. Entscheiden wir uns, unser Bewusstsein auf energetische Ebenen zu richten, wird die Wahrnehmung von Qi möglich. In den klassischen Tai Ji-Schriften heißt es: „Der Geist lenkt das Qi, und das Qi lenkt den Körper.“ Dieses Prinzip zeigt sich eindrucksvoll in der Nachahmung von Tieren in Qi Gong und Tai Ji. Die geistige Verbindung mit dem Bewusstsein eines Tieres überträgt dessen Energie und Kraft auf den Praktizierenden.

Für die Qi-Wahrnehmung gilt das Prinzip von Yin und Yang: Während das aktive Bewusstsein (Yi) auf etwas gerichtet ist, verweilt das passive Bewusstsein (Shen) ruhig und absichtslos in der Wahrnehmung.

Die Verbindung von Qi-Wahrnehmung, Energiefluss und Bewegung

Die Wahrnehmung von Lebensenergie ist eine unverzichtbare Grundlage für die Qi Gong-Praxis. Am Beispiel des Reiterstands wird dies besonders deutlich. Diese Haltungsposition wird oft nur anhand äußerer Kriterien beschrieben, wie der Ausrichtung von Füßen, Knien und Wirbelsäule. Doch die äußere Haltung dient in erster Linie dazu, den Energiefluss zu fördern. Ohne eine Schulung der Qi-Wahrnehmung bleiben Haltungsübungen oberflächlich und mechanisch.

Ein Beispiel: Eine energetische Schwäche in der Nierenregion kann dazu führen, dass es schwerfällt, das Becken entspannt hängen zu lassen oder die Lendenwirbelsäule aufrecht zu halten. Selbst bei korrekter äußerer Haltung wirkt sich die energetische Leere negativ aus – die Haltung wird sicherlich als sehr anstrengend empfunden werden. Ein gesteigerter Energiefluss unterstützt die Körperhaltung und Bewegung, so dass das harmonische und fließende in den Qigong Abläufen viel besser erlebt werden kann.

Hier setzt die bewusste Qi-Wahrnehmung an. Indem man die Aufmerksamkeit auf die betroffene Region lenkt, etwa die Nieren, und Qi dorthin fließen lässt, wird die Haltung genährt und gestützt. Partnerübungen, bei denen der Fokus gemeinsam auf die Energieebene gelenkt wird, können diesen Prozess zusätzlich unterstützen.

Vertrauen in die eigene Wahrnehmung

Die Entwicklung der Qi-Wahrnehmung ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Meisterschaft im Qi Gong. Sie fördert nicht nur ein tieferes Verständnis für die eigene Praxis, sondern auch eine stilübergreifende Kompetenz, die alle Traditionen verbindet.

Es ist wichtig seiner Intuition und seiner Wahrnehmung mehr und mehr zu vertrauen. Dabei hilf ein spielerischer Umgang. Bedenke aber auch, nicht jede Wahrnehmung hat einen absoluten Anspruch. Überprüfe und verifiziere deine Beobachtungen, so dass du eine solide Wahrnehmungsfähigkeit entwickelst.